Inhaltsverzeichnis |
Nach dem Frühstück fahren wir los. Heute geht’s zurück nach Bukavu. Unterwegs begegnen uns zuerst recht viele Lastwagen, insgesamt so 8 oder 9, kurz hintereinander, die alle aus Bukavu kommen, vollbepackt mit Gütern des täglichen Bedarfs und obendrauf Menschen jeden Alters, die am Wochenende ihre Familien auf dem Land besuchen oder ihre Produkte auf den Samstagsmärkten in Kaziba oder Luhwinja verkaufen wollen. Uns begegnen dann aber auch immer wieder Kühe, die von 12 oder 13jährigen Cowboys ganz souverän an den Straßenrand getrieben werden, damit der Jeep mit den Muzungus vorbeifahren kann. Ich denke daran, daß gestern Celestin, unser Projektleiter in Mushenyi, erzählte, wie er als kleiner Junge vom Bauernhof auch solch ein Cowboy war und aufpassen musste, daß seine Kühe nicht allzu steile Hänge hochstiegen, wo sie leicht runterfallen konnten – und genau dort wollten sie heute die Bäume pflanzen. Soweit ich das jedenfalls heute Morgen beurteilen kann, macht Cowboysein den Kindern sichtlich Spaß.
Ganz anders sah das in Nyangezi aus, wo wir nach etwa einer Stunde Rückfahrt, die Serpentinen des Ruzizitals runter, ankommen. Dort sind viele traditionelle Ziegeleien tätig, die Ziegelsteine brennen, ähnlich wie man in Meilern Holzkohle herstellt. Doch mittendrin steht jetzt unsere Ziegelpresse und da ist nun eine Ziegelei, die kein Holz zum Brennen mehr braucht und deren Ziegel eine sehr viel bessere Qualität haben.
Aber Ziegel müssen auch transportiert werden. Die Kunden sitzen in der Provinzhauptstadt Bukavu. So standen dafür eine Reihe von Lastwagen bereit, die beladen werden mussten. Und was ich dann sah, verschlug mir fast die Sprache: Vor allem Kinder schleppten, eins nach dem anderen die Ziegel herbei. Die jüngsten dürften so um die 7 oder 8 Jahre alt gewesen sein und sie trugen manchmal 10 oder noch mehr Ziegelsteine auf dem Kopf zum Lastwagen, ohne daß auch nur einer runterfiel und die Mädchen hatten ein Stirnband und schleppten die Last damit haltend auf dem Rücken, so wie ihre Mütter die Lasten tragen. Ich hörte, sie seien zu arm, um zur Schule zu gehen und arbeiteten jeden Tag hier. Ich muß gestehen, die Gesichter dieser armen Wesen, die solch schwere Lasten tagaus, tagein bei glühender Hitze zu tragen hatten, werde ich so schnell nicht vergessen. Natürlich habe ich unseren Leuten eingeschärft, daß wir jetzt nicht eine Stiftung zum Wohle der Jugend gründen können, welche dann die Ziegel unserer Pressen - so wie diese Kinder - zu den Lastwagen schleppen. Bei unserem Projekt müsse Kinderarbeit absolut tabu sein. Die jüngsten Mitarbeiter an der Ziegelpresse sind übrigens 18 Jahre alt – und diese Tätigkeit ist wesentlich angenehmer als dies Schleppen der Ziegelsteine.
Dabei hat der Kongo die meisten völkerrechtlichen Verträge zum Schutze der Jugend unterzeichnet, aber leider kümmert sich der Staat kaum um die Einhaltung dieser Verpflichtungen. An vielen Baustellen ist Kinderarbeit zu sehen und man lässt sie vor allem die Steine schleppen…
Bei der Rückfahrt sahen wir dann aber auch mal etwas ganz anderes, das uns dann in komplettes Erstaunen versetzte: Wir sahen gleich mehrmals unterwegs Männer, die ihren Baby-Nachwuchs auf dem Rücken trugen, so wie dies sonst die Mütter in Afrika handhaben. Das ist wirklich eine kleine Sensation, denn bisher dachten wir, die kongolesischen Männer seien sich für sowas zu schade, hier ihren Frauen zu helfen.
Mittags erreichten wir dann wieder das lärmige, staubige Bukavu mit seinen Tausenden von Menschen; die alle zu Fuß und mit Lasten bepackt, vorzugsweise auf dem Kopf, entweder in die Stadt liefen oder wieder nach Hause aufs Land. Am Straßenrand ein Kleinhändler neben dem anderen sitzend oder stehend. Angeboten wird hier praktisch alles, von der Telefonkarte bis zum Toilettenpapier, Wasserflaschen; Primus, Brot, Maniok, Bananen, Avocado, Schuhe, Bekleidung, auch Nagellack für Frauen, Seife, Kochgeschirr, sogar Möbel usw. usf. Alles im Freien und wenn’s regnet werden schnell große Plastikplanen drüber ausgebreitet.
Im Quartier angekommen, habe ich allerdings erstmal die Dusche über mich regnen lassen. Nach einer Woche auf dem Land war dies bitter nötig.
Am Nachmittag kam dann noch der deutsche Pater C. mit einer Besucherin aus der Heimat vorbei und wir tranken zusammen Tee. Pater C. leitet die hiesige kirchliche Druckerei und wir kennen uns schon seit Jahren. Er lebt schon gut 40 Jahre im Kongo und spricht die lokalen Sprachen Mashi und Kisuaheli. Seine Verbindung zur Heimat hielt er bisher auch über die „Deutsche Welle“ aufrecht; deren Nachrichten er regelmässig über Kurzwelle empfangen konnte. Aber jetzt ist er gar nicht gut auf die „Deutsche Welle“ zu sprechen, denn man hat die Kurzwellensendungen zugunsten des Internets schlicht eingestampft. Als ob man im afrikanischen Busch, wohin doch gesendet werden solle, überall Internet habe! Die Leute bei der „Deutschen Welle“ seien ganz realitätsfern, so Pater C. Jetzt muß er BBC oder Radio France International hören, um Nachrichten aus Europa zu bekommen, die etwas näher an den Bedürfnissen ihrer afrikanischen Hörer geblieben sind.
Pünktlich um 8.15 Uhr stehen Anatole und Antonios vor dem Haus. Wir wollen heute nochmal nach Nyangezi fahren. Anatole hat dort mit seiner Organisation eine Fläche aufgeforstet, die er uns unbedingt zeigen will.
Die Straßen Bukavus sind an diesem Sonntagmorgen wohltuend leer. Fast keine Menschenseele ist hier im Zentrum unterwegs. Doch etwas weiter oben, hinter der Universität, pulsiert das Leben wie eh und je. Die Markthändler schreien, Autos hupen und Anatole sagt, wir sollten besser die Autofenster schließen, hier seien viele Diebe unterwegs. Weiter draußen, im Stadtteil Essence, ist dann wieder der Sonntag spürbar. Viele Menschen eilen festlich gekleidet wohl in die umliegenden Kirchen. Heute sieht man hier nur wenige Leute Lasten tragen. Wir durchqueren den Stadtteil Panzi, werfen einen Blick auf die Bäume, hinter denen sich das dortige Krankenhaus verbirgt, das weltweit zu einer traurigen Berühmtheit gelangte, weil hier viele der während und nach dem Krieg in der Region von Soldaten und Milizen oft grässlich vergewaltigten Frauen behandelt wurden. Dann noch ein paar Kurven und wir sind aus der Stadt raus.
Die Straße windet sich immer höher hinauf an Eukalyptus- und Bananenplantagen entlang und irgendwann geht’s dann wieder sanft runter in die Ruzizi-Ebene bei Nyangezi. Dort nehmen wir diesmal die Abzweigung nach Uvira – eine Nationalstraße, die aber trotz des hochklingenden Namens keineswegs in einem besseren Zustand ist als fast alle anderen Straßen im Kongo. Sie führt zunächst immer weiter hinauf, bei einer Höhe von weit über 2.000 Metern überqueren wir den Pass und dann geht’s wieder runter – und wenn wir weiterführen, viele Serpentinen runter, bis auf eine Höhe von 800 Metern, kämen wir in Kamanyola (Googlebilder zu Kamanyola) an, dem kongolesischen Grenzstädtchen zur ruandischen Südgrenze (Ruanda). Die Straße führt dort weiter bis nach Uvira am Tanganyikasee, der etwa 700 Meter über Null liegt. Doch kurz hinter dem Pass sind wir heute schon am Ziel. Von dort geht der Blick weit ins östliche afrikanische Gebirgsland. Drüben, weit unten, liegt das Ruzizital mit dem Fluss, der vom Kivu- zum Tanganjikasee fließt. Dahinter ist das Gebirgsland von Ruanda zu sehen. Und ganz vorne, neben der Nationalstraße hier, haben die Leute von Anatole ungefähr 13 ha eines teilweise recht steilen Hanges mühsam aufgeforstet. Wir treffen diese fleißigen Baumschulgärtner und sie zeigen uns stolz ihre Arbeit, umgehen ihre Fläche und stellen unterwegs ganz Erstaunliches fest. Hier ist nämlich noch sehr viel Buschwerk der ursprünglichen tropischen Vegetation vorhanden. Wir gehen einem kleinen Bachlauf entlang runter mit der üppigsten Vegetation. Keinerlei Anzeichen von Erosion. Der gesamte „Mutterboden“ ist noch vorhanden, wird sogar von wildem Setaria- und Trypsacumgras festgehalten, das sehr tief wurzelt und das wir sonst an erosionsgefährdeten Flächen mühsam anpflanzen müssen. Solch eine gute Aufforstungsfläche haben wir in dieser Region noch nicht gesehen! Der einzige Schönheitsfehler sind die artfremden Eukalyptusbäume, die sich eben auch zwischendrin finden und offenbar irgendwann mal von Menschenhand hier angepflanzt wurden und seither weiterwucherrn, aber aus dem Busch nicht hinauswachsen, weil dies begehrtes Brennholz ist. Hin und wieder finden sich zwischendrin auch winzige Maniokanbauflächen. Der Eukalyptus, so finden wir, sollte wirklich so schnell wie möglich komplett entfernt werden, aber die Leute sollen achtsam dabei sein und nicht die neuen, jungen Pflänzchen verletzen. Ich hoffe nur diese Aufforstung kann vor dem Brennholzbedarf genügend geschützt werden. Vielleicht sollte zum Ausgleich in der Nachbarschaft ausnahmsweise mal eine Eukalyptus- oder Pinusplantage angelegt werden, so Henriette; die schnell wachsen und deswegen den Brennholzbedarf rasch decken können…
Ich gratuliere Anatole für diese großartige Arbeit seiner Mitarbeiter hier. Bisher sind erst 10% der verfügbaren Ländereien aufgeforstet. Ob wir für die Bepflanzung des restlichen Gebietes seiner Organisation auch noch eine Unterstützung geben können, lässt sich ihm leider zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht versprechen. Wir wollen unser Möglichstes versuchen.
Am Nachmittag, zurück im Quartier, treffe ich beim Tee einen belgischen Radiomann, der hier lokale Rundfunksender unterstützt, die u.a. ausführlich über Umweltprobleme und ihre Lösungen berichten wollen. Viele Menschen hier, die kaum Lesen und Schreiben können, hören Radio. Ich frage ihn, wie sie denn die Alt-Batterienfrage behandeln? Was sage man denn dazu den Leuten im Radio? Oh, antwortet er, darüber habe man eigentlich noch nicht nachgedacht. Aber dies gehöre unbedingt dazu, das sei richtig und er wolle sich des Themas annehmen. Wir tauschen unsere Karten aus. Ich bin mal gespannt, was da rauskommt…
Am Nachmittag verabredete ich mich außerdem mit Denis aus Belgien zu einem Spaziergang durch das Zentrum von Bukavu. Er zeigt mir das große Hauptpostamt, einst von seinen Landsleuten gebaut. Seinerzeit seien viele Briefe geschrieben worden. In der großen Halle sehe ich durch die Glasscheiben der Eingangtür mindestens 10 bis 15 Schalter, doch heute sei davon werktags höchstens einer in Betrieb. Der Rest des Gebäudes befindet sich in zunehmendem Verfall. So sind sämtliche Scheiben der Fenster im ersten Stock eingeschlagen. Neben dem Gebäude des Hauptpostamtes findet sich auch das „Photokopierzentrum“ Bukavus.
Vielleicht 5 oder 8 Photokopierer stehen unter den Bäumen rum, durch Drähte irgendwo mit dem Stromnetz oder einem Generator verbunden und die Besitzer bieten auch am Sonntag ihre Dienste an. Bei Regen muß alles schnell unter das Vordach des Postamtes geschleppt werden.
Wir gehen etwas weiter und Denis weist mich auf ein Trafohäuschen hin, dessen Türen sperrangelweit offen stehen. Denis geht hinein und prüft, ob da noch mal was repariert wurde. Jawohl, er findet einige nagelneue Schalter. Hier kommt der Starkstrom an und wird auf 220V umgewandelt, um ins Netz des Zentrums eingespeist zu werden. Jeder kann hier reinlaufen und sich einen tödlichen Schlag holen, oder, bei Sabotage; die Stromversorgung lahmlegen. C’est la vie en Congo.
Als wir zu unserem Quartier zurückkommen, stehen auf der Straße rundrum sämtliche Menschen merkwürdig still und starr da und uns wird bedeutet, wir sollten uns ja nicht weiterbewegen. Und dann sehen wir auch schon, was los ist. Etwas weiter unten ist das Hauptquartier der Armee, wir haben 18 Uhr und die kongolesische Flagge wird feierlich eingeholt und für die Nacht sicher ins Bett gebracht. Zu diesem „Zapfenstreich“ bläst ein Trompeter feierlich die Nationalhymne mehr schlecht als recht und wer dazu nicht strammsteht, kann mit Unannehmlichkeiten rechnen.
Werktags wird dafür auch der gesamte Verkehr auf der belebten Straße zum Stillstand gebracht. Heute sind hier besonders viele junge Leute, weil trotz Sonntag den ganzen Tag auf einer Baustelle gegenüber intensiv gearbeitet wurde. Hausbau im Kongo ist arbeitsintensiv. Mindestens 30 oder 40 Jugendliche schleppen immerzu Ziegelsteine, Zement oder was immer benötigt wird über eine provisorische Holztreppe inzwischen zum 2. Stock und das geht nicht ab ohne viel Geschrei, Lachen und Johlen. Ein Lärm von früh bis spät. Offenbar wird der Bau von einem Muslim finanziert, denn ein solcher steht oben in seinem flatternden weißen Gewand und scheint die Leute zu dirigieren. Doch in wenigen Minuten wird’s dunkel und dann versinkt Bukavu schnell in einen Dornröschenschlaf, denn nachts sich in dieser Stadt fortan zubewegen ist nicht ganz ungefährlich, viele Gauner und schlimmere bewaffnete Gesellen sind unterwegs und deswegen eilen die meisten Menschen rasch nach Hause, um ihnen nicht noch zu begegnen.
Ab heute sitze ich vor allem im Büro unserer Partnerorganisation und schaue mir die Finanzakten von Projekten an, die wir gefördert haben. Zwischendurch kommen immer wieder Besucher, die von meiner Anwesenheit gehört haben und mich grüßen oder ihre Angelegenheiten mit mir besprechen wollen. So erfahre ich auch manches.
Bosco z.B. weiß, dass jetzt die Holzkohle für Bukavu aus der Gegend von Shabunda kommt, noch ganz tief im Regenwald, vielleicht 150 km südwestlich von hier. Dafür werde dieser aber mehr und mehr abgeholzt und in Meilern verkohlt. Und ganz offenbar kocht ein großer Teil der hiesigen städtischen Bevölkerung mit Holzkohle, die praktisch an jeder Straßenecke zum Verkauf feilgeboten wird. Da die Menschen hier noch nicht wissen, wie ein Wald richtig bewirtschaftet wird, um als solcher erhalten zu bleiben, trotz Holznutzung, ist zu vermuten, dass ein Waldstück nach dem anderen verschwindet und die dortigen Berge später genauso kahl aussehen wie hier im östlichen Teil der Provinz – und wie an vielen anderen Stellen überall in Afrika.
Das sind Fragen, die uns bewegen und um vielleicht hierzu neue Erkenntnisse zu gewinnen, nehmen Henriette und Antonios ab heute an dem ersten internationalen Kongress teil; der nach dem Krieg überhaupt in Bukavu organisiert wurde. Thema: „Die kommunale Verwaltung der natürlichen Ressourcen in Nachkriegssituationen“ (weitere Infos in Englisch oder Französisch auf www.kongo.l-h-l.org)
Ich selbst habe mich entschlossen in diesen Tagen in aller Ruhe die Original-Verwendungsnachweise unserer hiesigen Partnerorganisationen anzuschauen. Das ist viel weniger spektakulär, muss aber auch mal sein. Oft ergeben sich daraus Einsichten über gute oder weniger gute Projektentwicklungen; die dann besprochen werden müssen. Dafür sind dann die Nachmittage da.
Abwechslung ist jetzt in unserem Quartier eingekehrt, einem kirchlichen Gästehaus. Hier sind jetzt für ein paar Tage ganz viele junge Leute aus zahlreichen afrikanischen Ländern angekommen für eine Fortbildung. Bei Tisch sitzen wir zusammen und da ergeben sich oft die interessantesten Gespräche. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern, z.B. Togo, Ghana, Nigeria, Burkina Faso, Elfenbeinkueste, Tansania, Sambia, Malawi, Uganda und natürlich Kongo. Da ist auch jemand aus Mexiko dabei, aber keine Europäer. Wir erzählen viel und vor allem wird gelacht und von mir will man immer wieder wissen, weshalb ich im Kivu sei und wie das Leben in Deutschland aussehe. „Tiefgefroren“ ist da momentan meine Antwort und ich muss näher erläutern, was „Winter“ in Europa bedeutet. Sowas kann man sich hier einfach nicht vorstellen...
Auch der heutige Tag ist für mich ganz unspektakulär. Die Buchhalterin schleppt ganze Aktenberge herbei und ich schaue mir ihre Arbeit an. Auf dem Weg zum Büro muss ich immer aufpassen, nicht mal in einen Gulli zu fallen. Die einstigen belgischen Kolonialherren haben zwar das Zentrum von Bukavu mit Kanalisation versorgt, seitdem ist aber fast überall der Gullideckel abhanden gekommen. So gibt’s am Straßenrand alle paar Schritte metertiefe Löcher und heute sehe ich sogar Arbeiter der "Redigiso", der Wasserversorgung, am Werk, die mit einer Art Gasmaske hineinklettern und allen möglichen Unrat herausholen. Das System war wohl verstopft, was sich bei starkem Regen dann unangenehm bemerkbar macht, weil dann alles raus quillt und die Straßen überschwemmt. Kanaldeckel bringen sie natürlich nicht mit. Besonders bei Dunkelheit muss man hier sehr aufpassen.
Ansonsten wird uns immer klarer, dass wir an den vielen Aufforstungsflächen vor allem die Baumschulen in Zukunft erhalten sollten. Wir haben im Laufe der Jahre Hunderte von Baumschulgärtnern ausgebildet und wenn alle diese Leute in Zukunft wieder anderswo arbeiten müssten oder arbeitslos würden, dann ginge viel „Know How“ verloren und in den jungen Wäldern könnte nicht mehr so gut nachgepflanzt werden. Wir müssen also ein „Forstmanagement“ einführen, ansonsten besteht die Gefahr, dass unsere jetzigen Erfolge aufgrund des Brennholzbedarfs wieder zunichte gemacht würden. Glücklicherweise haben wir parallel zu diesem Programm der Aufforstung auch den holzsparenden Ofen „Rocket Stove Lorena“ (vgl. www.kongo.l-h-l.org) eingeführt, der sich jetzt bei den Frauen, die ihn benutzen, großer Beliebtheit erfreut, auch deswegen, weil er nicht rußt, aber auch wegen der Ersparnis von 50 – 60% Holz. Wir überlegen heute Nachmittag, wie wir schaffen können, dass sich die bisher angestellten Ofenbauer selbständig machen können. Normalerweise müsste der Ofenbau ein kleines Einkommen erwirtschaften können. Bisher haben wir viele Öfen an Bauern verschenkt, die freiwillig und unentgeltlich bei der Pflanzung der Bäume geholfen haben.
Am Abend erzählt Henriette von der Konferenz. Man habe morgens eine Exkursion gemacht – wieder nach Nyangezi und zwar in Begleitung des Provinzgouverneurs. Dieser sei mit reichlich Polizeischutz und tatütata vorausgefahren und alle anderen im Bus hinterher. Man habe dort eine Aufforstung besichtigt und der Gouverneur habe sich dann vor den Bäumchen von Presse, Funk und Fernsehen ablichten lassen bzw. Interviews gegeben. Ob er sich für die Aufforstung wirklich interessiert habe, sei für sie nicht ersichtlich gewesen, doch anschließend seien alle von einer nahen kirchlichen Schule empfangen worden zu einem Imbiss und der Gouverneur habe vor versammelter Presse stolz erzählt; hier sei er selbst zur Schule gegangen. Danach habe er sich für den Rest der Zeit mit seinem "iPod" beschäftigt, vielleicht muss man auch sagen, er hat sich dann seinen Regierungsgeschäften per "iPod" gewidmet.
Morgens kommt Pater C. mit seinem Besuch aus Deutschland vorbei und wir tauschen Erfahrungen aus. Wenn man zum erstemal im Kongo ist, dann lässt sich nicht alles so einfach mal verarbeiten, was man hier alles sieht.
Wirklich, die Armut der meisten Menschen ist überwältigend und wir sehen ja nur ganz wenig davon. Jeder muss sich irgendwie durchschlagen und oft reicht dies höchstens für eine Mahlzeit am Tag – wenn überhaupt. Nicht etwa weil zu wenig Nahrungsmittel erzeugt würden, sondern weil man sich nicht leisten kann, allzu viel zu kaufen. Wer überhaupt eine feste Stelle hat, bekommt meist ein winziges Gehalt unter der Armutsgrenze und muss sehen, wie er oder sie über die Runden kommt - und dann noch oft mit 6, 8 oder sogar 10 Kindern.
Ich bringe die Besucherin mittags zurück zu ihrem Quartier und laufe allein zurück. Diesmal nehme ich einen anderen Weg, der am Zentralgefängnis entlang führt und dort steil den Berg hinan, von wo aus man von oben einen direkten Einblick in die Innenhöfe des Gefängnisses hat. Heute scheint Waschtag zu sein, jedenfalls hängt überall die Wäsche, soviel, dass sich daraus die starke Belegung erschließen lässt. Hin und wieder huschen auch Gestalten durch die Innenhöfe. Von einer Kochstelle steigt Rauch auf.
Leider laufen trotzdem die meisten Gauner im Kongo frei rum. Straflosigkeit ist ein sehr ernstes Problem hier, das in diesem Ausmaß erst nach der völkerrechtswidrigen Besetzung durch die östlichen Nachbarländer mit allen möglichen Milizen entstanden ist. Viele Kriegsverbrechen sind geschehen und fast alle bis heute ungesühnt. Die UNO spricht von 5 Mio. Kriegstoten…
Vermutlich sitzen aber da unten im Knast die kleinen Gauner, während die großen sich das eher noch gut sein lassen können und immer noch nachts z.B. die Stadt hier unsicher machen. Auf dem Rückweg fällt mir wieder die intensive Bautätigkeit auf. Wer irgendwie Geld hat, scheint dies sofort in Immobilien anzulegen. Und noch etwas fällt mir wieder einmal auf. Eigentlich sind die Häuser, die hier gebaut werden architektonisch durchaus geschmackvoll - wenn nicht schön - konzipiert, wenn auch die Qualität der Bauten oft zu wünschen übrig lässt. Nicht selten scheint auch das Geld vorzeitig auszugehen. Man wohnt dann schon im fensterlosen Haus in der Baustelle. Bei diesem Klima hier sind Fenster auch nicht unbedingt zwingend – außer zum Schutz gegen Diebe. Übrigens haben weiter unten, vom Place d’Indépendance an die Chinesen zu meiner großen Überraschung in den letzten Monaten 2011 noch einen Teil der langen Avenue Industrielle geteert, doch Pater C. erläutert dann: exakt bis einen Tag vor den nationalen Wahlen. Seitdem habe man jegliche Bautätigkeit eingestellt.
Heute Mittag zieht sich der Himmel zu. Beim Mittagessen zucken wir alle zusammen, ein schwerer Donnerschlag. Das Gewitter ist da und mit ihm fast für den ganzen restlichen Nachmittag der Regen. Für den Abend bin ich aber zum Abschlussfest der Konferenz eingeladen und hatte mir vorgenommen zu Fuß hinzugehen. Doch jetzt, bei Regen, ist das nicht gerade ein Zuckerschlecken... Da muss wohl ein Taxi helfen. Aber wie bezahlen? Ich habe nur noch einen 100 Dollar-Schein in der Tasche und damit lassen sich schlecht die 500 Franc Congolais (etwas mehr als ein halber Dollar) für das Taxi bezahlen. Denis hilft mir aus der Patsche und macht den Schein klein. Doch als ich losging hatte der Regen aufgehört und ich konnte doch zu Fuß gehen. Allerdings - was für Straßen sind das jetzt? Wo sonst arg viel Staub aufwirbelt, ist jetzt alles total verschlammt. Man muss bei jedem Schritt aufpassen, wohin man tritt und dazu noch auf die Autos von nebenan, um nicht vollbespritzt zu werden. Aber an diesem Spätnachmittag sind jetzt viele Menschen unterwegs, die meisten wohl auf dem Heimweg.
Mir ist wichtig, hier zu Fuß zu gehen, wie die meisten Menschen hier. Sie erleben meistens, wie die "Muzungus" herumkutschiert werden, also einer anderen Welt angehören. Ich möchte dagegen doch lieber Freud und Leid mit den Einheimischen teilen. Und heute ist ein relativ kleines Leid die matschige Straße.
Allerdings findet die Abschlussveranstaltung der Konferenz in einem eleganten Hotel statt, also wieder in der „anderen Welt“ – und ich stehe jetzt mit total verdreckten Schuhen davor. Glücklicherweise hat das Hotel einen gepflegten Rasen und der muss jetzt mal als mein „Schuhputzer“ herhalten. Kurz später sitze ich mitten in der Abschlusspräsentation der Konferenz. Das Fernsehen, die Nachrichtenagentur Reuters und andere Reporter machen Aufnahmen und links sitzen an einem Ehrentisch neben der obligatorischen kongolesischen Flagge ein Minister Burundis und der Provinz Sued-Kivu und in der Mitte seine Exzellenz der Gouverneur des Süd-Kivu.
Wie üblich ist das Ergebnis auch dieser Konferenz ein Forderungskatalog an die Regierung und einige andere Akteure der Zivilgesellschaft.
Vielleicht können wir in den nächsten Tagen etwas mehr über die Inhalte der Konferenz berichten. Jedenfalls werden jetzt die Abschlußreden gehalten – wie überall, reden die Leute gern und viel. Aber endlich ist alles gesagt und um 19 Uhr ist dann Aufbruch zum Ort des Abschlußfestes, ein anderes Luxushotel in Bukavu. Für uns steht ein Bus bereit und in diesem ersten Hotel am Platz, dem "Hotel Residence", ist dort in einem großen, halboffenen Saal, wo früher vielleicht mal der Garten war, alles festlich vorbereitet und das Essen dampft schon. Aber vorher gibt’s noch ein Kulturprogramm und nochmal ein paar Reden. Die Tanzgruppe auf der Bühne beeindruckt durch geschickte Verbindung traditioneller mit moderner Kultur – ja, sie bringt genau diesen Konflikt auf die Bühne. Wofür die Völker Europas Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte benötigten, muß hier in der tropischen Welt ganz schnell integriert werden und genau das haben die Künstler exzellent dargestellt, auch gekleidet halb im westlichen Habit und halb mit traditionellen Baströckchen. Diese jungen Tänzer haben wirklich ein hochkarätiges Programm geboten und alles wäre noch viel besser gewesen, wenn nicht die Lautsprecher im Saal – wie so oft im Kongo – völlig überdreht gewesen wären. Später merken das auch andere Leute und alles geht etwas gedämpfter weiter. Natürlich sitzt auch wieder der Gouverneur, der an der gesamten Konferenz teilgenommen hat, mit seiner Begleitung an einem Ehrentisch. Nach dem Essen, das wegen der vielen Reden dann ziemlich zerkocht war, trotz Luxushotel, ist dann Tanz für alle nach den Klängen des Kongo-Rumba angesagt und ich wage mich schließlich auch auf den Tanzboden. Dort werde ich dann bald von hinten mit einem kräftigen Schlag auf die Schultern begrüßt. Ich drehe mich um und da strahlt mich seine Exzellenz der Gouverneur an. Er fand wohl gut, dass ich mich auch im Kongo-Rumba versuchen wollte. Wir kommen dann ein bisschen ins Gespräch – "small talk" nennt man das – und er erzählt mir, daß er viele Jahre in Belgien gelebt habe. Er spricht ein gutes Englisch und wir entdecken dann sogar einige gemeinsame kongolesische Bekannte aus dieser Zeit. Schon vorher, gegen Ende der Konferenz, war ihm Antonios aufgefallen und er hatte ihn zu sich gerufen und ihm ausdrücklich gedankt für seinen Übersetzungsdienst für Henriette. Antonios hat dann die Gelegenheit gleich beim Schopfe genommen und ihn um seine Unterstützung für seine Bemühungen zum Schutz des noch ziemlich unberührten Itombwe-Waldes gebeten und bekam dann auch gleich seine Visitenkarte zur späteren Kontaktaufnahme.
Auf dem Tanzboden treffe ich dann auch Bisusu; den ich schon lange kenne. Er ist ein Bauer und war im Suedkivu der erste, der angefangen hatte die Ziegen zu melken. Hier gibt’s sehr viele Ziegen, der Bevölkerung ist aber nicht bekannt, wie man Ziegenmilch und –käse herstellt. Ihr könnt Bilder von Bisusus Aktivitäten auf einer der Webseiten von L-H-L finden: www.kongo.l-h-l.org. Bisusu ist ein besonders guter Tänzer und er animiert auch andere, ihm gleichzutun, natürlich auch mich. Später habe ich auch noch Gelegenheit mit dem Ehrengast, Rene Ngongo, zu sprechen, der, soviel ich weiß, den Alternativen Nobelpreis für seinen Einsatz zum Schutz des Regenwaldes bekommen hat. Er ist noch eine Weile in Bukavu und wir verabreden uns für ein Treffen in der nächsten Woche. So gegen 23 Uhr löst sich die Festgesellschaft auf und alle streben dem Heimweg zu. Die Hauptstraße vor dem Hotel, nachmittags durch permanenten Verkehrsstau verstopft, ist jetzt wie ausgestorben. Aus Sicherheitsgründen bringt ein Bus jeden Gast in einer Rundfahrt zu seinem Quartier, auch uns. Obwohl wir normalerweise nur wenige hundert Meter zu laufen gehabt hätten, wollte ich das zu dieser späten Stunde doch lieber nicht tun. Ich komme jedenfalls recht müde und vielleicht auch ein bisschen wackelig dort an. Ob ich beim Primus ein bisschen zu tief ins Glas geschaut habe?
Heute stehen für mich wieder einige Treffen mit unterschiedlichen Gruppenvertretern an. Am morgigen Freitag fahren wir nach dem Frühstück los nach Burhinyi, etwa 120 km südwestlich von hier. Für einige Tage sind wir dann wieder weit weg von Internet und elektrischem Strom. Vielleicht kann ich dann in der nächsten Woche noch etwas über die Ergebnisse von diesem Ausflug berichten.
Wir wollen heute nach Burhinyi fahren, eine Gemeinde, oder sollte ich besser sagen: ein kleines Königreich? - rund 100 km südwestlich von Bukavu. Vor 10 Uhr, sagt Chris, kann er heute unmöglich losfahren. Er habe noch viel vorzubereiten und zu erledigen.
Um ½ 9 Uhr ruft Mao an, der Vorsitzende einer Nichtregierungsorganisation in Burhinyi. Er ist in Bukavu und fragt, ob wir ihn mitnehmen könnten. Natürlich können wir. Kurz nach 10 Uhr kommt endlich Chris und wir können losfahren. Erstmal zum Tanken, jetzt sind 105 Dollar fällig, damit wir mit vollem Tank losfahren können. Benzin kostet um die 1,50 Dollar der Liter.
Die Firma, die den Südkivu mit Benzin versorgt heißt Gingka und besitzt zahlreiche Tankwagen, welche ständig zwischen Südkivu und Mombasa oder Daressalam am Indischen Ozean pendeln – durch Tansania und Ruanda bzw. Kenia, Uganda und Ruanda, um die hiesigen Autos mit Kraftstoff zu versorgen. Vor zwei Jahren ist mal solch ein Tanklastwagen auf der Straße von Uvira nach Kamanyola verunglückt. Zunächst war nicht viel passiert, aber Benzin lief aus. Die Bewohner der Umgebung sahen die Stunde ihres Lebens gekommen, endlich mal reichlich Benzin gratis abzapfen zu können und kamen mit Kanistern und Eimern – sie hätten das später am Straßenrand an die Autofahrer profitabel verkaufen können. Stattdessen hatte jemand bei Einbruch der Dunkelheit die im wahrsten Sinne des Wortes zündende Idee, kam mit einer Petroleumlampe und alles flog mit einer riesigen Feuersäule in die Luft. So hatte dann für die meisten rundrum die letzte Stunde des Lebens geschlagen und alles ging in Flammen auf. Man fand ungefähr 100 total verkohlte Leichen. Heute erinnert die Ruine des Tankwagens an das Unglück und ein Mahnmal, ein paar hundert Meter weiter. Natürlich ist an jeder Tankstelle die Warnung zu sehen, daß Rauchen und offenes Feuer verboten ist, aber in einer „runden“, landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft mit sehr vielen Analphabeten sind die Segnungen der „viereckigen“ Industriegesellschaft des Nordens genau genommen noch ein Buch mit sieben Siegeln. Das wird zwar gerne benutzt, aber nicht wirklich verstanden. Das ist bei unzähligen Dingen des Alltags zu sehen und das wird von den Chinesen z.B. nach Strich und Faden ausgenutzt. Die Chinesen sind mit ihren „viereckigen“ Billigprodukten überall bis ins letzte Dorf präsent – einschließlich Verpackungsmüll und manchmal auch Giftmüll. In den Industriegesellschaften haben wir dafür einigermaßen mühsam inzwischen ein Recyclingsystem aufgebaut. Für Afrika fehlt dies fast überall. Im günstigsten Fall wird alles verbrannt und permanent qualmen solche Müllhalden. Und gelegentlich hört man, etwa aus Westafrika, betrügerische Müllhändler aus Europa hätten sogar Sondermüll irgendwo im afrikanischen Busch abgeladen, anstatt diesen fachgerecht zu entsorgen. Dazwischen spielen dann die Kinder oder scharren die Hühner. Hier im Kongo sehen wir ähnliche Situationen inzwischen immer häufiger. Für „Entwicklungshilfe“ sind solche Fragen bisher leider oft noch nicht zum Thema geworden...
So sitzen wir also inzwischen im Jeep und müssen jetzt runter zum Hafen, den Kreisverkehr beim Place d\\\\\\\\'Indépendance nehmen und dann geht’s wieder bergauf – und zwar erst mal eine Weile über eine frisch geteerte Straße. Ich wusste, daß man diese Straße ausbauen wollte, staune jetzt aber doch, daß daraus gut 2 km geworden sind. In kleinen Schritten geht’s also doch voran mit den „5 Chantiers“ (Baustellen) des Präsidenten. Danach beginnt wieder der Staub, aber immerhin ist die Straße in einem guten Zustand, so daß Chris zügig um die 50 oder 60 km/h fahren kann. Für hiesige Verhältnisse ist das schon „Schnellverkehr“. Wir fahren immer höher und gelangen etwa bei 2.000 Meter über NN auf die Hochebene. Nebenan sehr viel Eukalyptus und die Bauern, die hier ihre Felder bestellen, klagen, daß dieser ihnen das Wasser weg sauge und deswegen der Boden immer trockener und unfruchtbarer werde. Hier in Kamisimbi seien die Ernten deswegen erheblich zurückgegangen. Aber nächste Woche werden wir die Gegend nochmal separat besuchen.
Heute geht’s zügig durch Walungu, wie die Landschaft heißt und finden dann, als die Eukalyptuswälder mal vorbei sind, recht fruchtbare Auen mit Dörfern, die einen bescheidenen Wohlstand vorzuzeigen haben. Die Straßen sind in einem verhältnismäßig guten Zustand, dafür müssen wir aber auch an einer Sperre 5 Dollar Maut bezahlen, mit denen die Arbeiter bezahlt werden, die sie immer wieder ausbessern.
Auch hier überall an der Straße kleine Händler, welche die Früchte ihrer Felder oder andere Produkte feilbieten, denn dies ist eine Hauptstrasse in den Westen der Provinz. Dann kommen wir, mitten in einem der zentraleren Orte, an einem größeren Stützpunkt der UNO-Blauhelme vorbei mit pakistanischen Soldaten. Natürlich fehlt auch die Moschee nicht und etwas später wird unsere Fahrt abgebremst durch einen Konvoi dieser Blauhelme mit vielleicht 10 oder 15 Lastwagen. Mühsam versucht Chris einen nach dem anderen zu überholen. Ganz vorn der Tanklastwagen - dann haben wir\\\\\\\\'s geschafft.
Allmählich wandelt sich die Landschaft. Wir kommen an ehemaligen Teeplantagen vorbei und sind uns nicht sicher, ob diese wirklich noch bearbeitet werden. Dann werden die umliegenden Berge kahler, wir sehen Erosion, verursacht u.a. durch Trampelpfade zahlreicher Kühe, die an den Hängen weiden. Mao aus Burhinyi, dem wir die Mitfahrgelegenheit geboten hatten, weiß eine Abkürzung, die über Feldwege führt, mit allertiefsten Schlaglöchern. Zu Fuß wären wir fast schneller. Trotzdem, sagen alle, lohnt sich die Abkürzung. Nach 10 Minuten sind wir wieder auf der Hauptstraße und können zügig weiterfahren. Jetzt sind wir auf der „Banro-Straße“. Banro ist die kanadische Goldfirma, welche in dieser Gegend lukrative Funde und ihren Aktionären dadurch viel Freude gemacht hat. Ich berichtete schon im vorigen Jahr darüber.
Endlich überqueren wir einen Fluss, ganz unten im Tal - und schon sind wir in Burhinyi. Die Menschen wohnen aber nicht im Tal, sondern weit oben und wir müssen noch einige Serpentinen hoch, bis wir in Mulambi und damit am heutigen Ziel sind. Unser Gastgeber ist hier Pater Bavon von den Franziskanern, den ich schon seit vielen Jahren kenne. Diesmal ist er enttäuscht, daß ich ihm immer noch kein großes Solarpanel mitgebracht habe. Er würde gerne sein Zentrum komplett auf Solarlicht umstellen, aber dazu fehlt ihm noch ein größeres Panel mit Solarzellen. Ich frage ihn, wie ich das denn im Flugzeug hätte transportieren sollen? Er ist nicht zu trösten. Doch dann lädt er uns auf eine Bank im Garten unter einen blühenden Baum ein und lässt zur Begrüßung Primusbier kommen. Später fragt er uns, ob wir ihm mal Chris, unseren Fahrer, samt Auto ausleihen könnten. Er müsse dringend ein paar Kilometer weit fahren auf ein Grundstück seiner Gemeinde, das durch Soldaten beschlagnahmt worden sei. Später erfahren wir, daß die Blauhelme, die wir überholt hatten, hier in Burhinyi ihr Quartier aufschlagen und dafür so mal gerade dieses für sie geeignete Grundstück der katholischen Kirche requiriert hatten, natürlich ohne Entschädigung und Pater Bavon muss mit ihnen verhandeln, damit klar ist, daß er das Grundstück später wenigstens zurückbekommt. Die UNO-Blauhelme sind seit vielen Jahren im Kongo und wurden zum teuersten Einsatz in der Geschichte der Vereinten Nationen. Ob ihr Einsatz sinnvoll oder hilfreich ist, wird zumindest von der örtlichen Bevölkerung immer wieder bezweifelt. Wir fragen uns die ganze Zeit, was sie denn ausgerechnet in Burhinyi mit seiner friedlichen Bevölkerung wollen? Die Antwort sehe ich dann später, als ich mit einigen Frauen Burhinyis unterwegs bin, auf einem gegenüberliegenden Hügel.
Zunächst waren am Straßenrand auf einmal ganz frisch sämtliche Bäume abgehackt. Dann sah ich auf dem genannten Hügel viele neu errichtete Hütten mit Strohdächern. Hier lebten seit kurzem, so erzählten die Frauen, kinyaruandasprachige Soldaten, die dem einstigen Tutsi-Rebellenregiment Nkundas angehörten, der eigentlich im Nordkivu agierte und dort den Krieg auf grausamste Weise noch verlängerte. Dann gabs eine Verständigung zwischen Kabila, dem Präsidenten des Kongos und Kagame, dem Präsidenten Ruandas. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde Nkunda durch ruandische Soldaten verhaftet und sitzt seither fest. Sein Stellvertreter kollaborierte mit Kabila und Kagame und erreichte, daß seine Truppe in die kongolesische Armee aufgenommen wurde. Dafür verzichtete Kabila darauf, diesen Kriegsverbrecher an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auszuliefern, der ihn zur Verhaftung ausgeschrieben hatte. Also, 700 Soldaten dieser ehrenwerten Gesellschaft säßen jetzt in Burhinyi, haben die Frauen schon gehört und insgesamt sollten bis zu 1.500 hierher verlegt werden. Natürlich ist jetzt leicht zu schlussfolgern, daß andererseits die UNO-Blauhelme in Burhinyi Aufpasser sein wollen. Doch wir sind gleich alarmiert, weil unterhalb des Tutsi-Camps einige unserer Aufforstungsflächen sind – und diese Soldaten kochen natürlich auch, wie alle anderen hier, mit Holz. Angeblich sei ihnen erlaubt, Holz aus Wäldern zu holen, die dem Staat gehörten. Von solchen ist hier in der Nähe allerdings nicht viel zu sehen. Das bisher friedliche Burhinyi geht einigen unruhigen Zeiten entgegen...
Um 6 Uhr läuten die Glocken der Kirche nebenan und etwas später hören wir den Gesang. Dann sitzen auch Henriette, Antonios und ich in der hübschen katholischen Kirche von Burhinyi und folgen dem kongolesischen Ritus der Messe. Hin und wieder lässt sich zu den rhythmischen Melodien auch in die Hände klatschen. In Burhinyi, wie in den meisten anderen evangelischen oder katholischen Gemeinden ist jeden Morgen ein Gottesdienst bzw. eine Messe. Heute sind nur Leute aus dem umliegenden Mulambi gekommen, aber am morgigen Sonntag wird die Kirche wieder voll sein. Die Afrikaner sind sehr religiös und die christliche Mission prägt den Alltag. Egal, wo wir sind, im Restaurant, im Privathaushalt oder – natürlich – im Pfarrhaushalt: zu den Mahlzeiten wird vorher und nachher von den Kongolesen ganz selbstverständlich das Tischgebet gesprochen.
Während der Zeit der Diktatur und des Staatszerfalls war insbesondere die katholische Kirche die einzige wirklich funktionierende Einrichtung, die dem Volk Überlebenshilfen gab. Und auch jetzt, nach den verpfuschten Präsidentenwahlen Ende November 2011, bei denen Kabila angeblich nochmal eine Mehrheit bekam, bezeugen u.a. die über 30.000 Wahlbeobachter, welche die katholische Kirche überall im Land aufgestellt hatte, daß sie nicht wirklich überall fair gewesen sei und man munkelt, oft seien zugunsten Kabilas fertig angekreuzte Wahlzettel in die Urnen geschmuggelt worden, die aus Südafrika gekommen seien. Obwohl Kabila kisuaheli spricht und bei den ersten Wahlen vor 5 Jahren klar die Mehrheit bekam ist er inzwischen im Osten recht unbeliebt. Mit einigen Ausnahmen bekam der lokale Kandidat Kamerhe die absolute Mehrheit in der Provinz – auf nationaler Ebene reichte das aber nur für 7 %.
Shekur, der Vertreter unserer Partnerorganisation, Antonios und ich gehen heute morgen zum Büro seiner Organisation. Dort warten schon vielleicht 30 Frauen. Die meisten von ihnen haben Ende August vorigen Jahres an dem Gemüseseminar teilgenommen, das von der Bingo-Stiftung in Hannover gefördert wurde. Wir sprechen über die Ergebnisse und wie sie das Gelernte jetzt anwenden. Später schauen wir uns einige der Gemüsegärten an und sehen überall eine recht große Vielfalt: Kohl, Möhren, Soja, Süßkartoffeln, Mais, Amarant, Zwiebeln, sogar vereinzelt Blumenkohl wird jetzt angebaut. Die Frauen bearbeiten nicht nur ihren privaten Garten, sondern auch ein größeres Gemeinschaftsfeld. Wir sprechen über die Hoffnung, daß die zu gründende Genossenschaft ihnen bei der Vermarktung helfen könnte. Und wir sprechen über Kompost, wozu auch Fäkalien von den Haustieren gehört. Manche der Frauen tun sich schwer damit Kompost zu produzieren. Traditionell werden die Gartenabfälle verbrannt. Aber in den Gärten sehen wir: der Anfang zur Kompostierung ist gemacht.
Derweil hat sich Henriette mit den anderen die Aufforstung angeschaut und am Nachmittag fahren alle, außer mir, zu einer weiter entfernten Fläche. Und ausgerechnet jetzt kommt doch tatsächlich der Mwami, der König, samt einer Gruppe von Chefs vorbei und will uns begrüßen. Ich bin schon froh, daß ich geblieben bin. Wir sprechen über unsere Pläne: Sonntagnachmittag soll\\\\\\\\'s eine Volksversammlung geben, bei der über die Gründung der Genossenschaft und über gutes Forstmanagement gesprochen werden soll. Außerdem nochmal über die Gemüsegärten. Für den Mwami ist wichtig, daß zu dieser Versammlung aus allen 18 Quartieren seines kleinen Königreichs (von der Größe eines Landkreises in Deutschland) Delegierte anwesend sind und bei der Genossenschaft mitwirken. Als Geschenk übergebe ich dem Mwami ein historisches Buch über Politik im Kongo, das er interessiert durchblättert. Ich weiß, daß er mal Philosophie studiert hat und einige deutsche Philosophen schätzt. Mit den Präsidentenwahlen ist er von seiner Bevölkerung, als unabhängiger Kandidat, in das nationale Parlament gewählt worden und wird künftig einen Teil seiner Zeit in der Hauptstadt Kinshasa zubringen müssen.
Kaum ist das Auto des Mwamis abgefahren, sehen wir einige Soldaten zielstrebig auf den Hof des Pfarrheims kommen. Dann stellt sich uns der Kommandeur der Tutsigruppen auf dem nahen Hügel vor und sagt, er wolle unbedingt mit mir sprechen. Das ist nicht einfach, denn Antonios, unser Übersetzer ist ja noch mit Henriette unterwegs. Aber kurz später kommen sie zurück und das Gespräch kann beginnen. Der Major hat am Vormittag die Ziegelpresse gesehen und ist ganz aus dem Häuschen. Er komme aus Masisi im Nordkivu – und sowas würden die Leute dort auch brauchen. Ob ich ihm auch zu einer solchen Ziegelpresse verhelfen könne? Er sei nicht nur Soldat, sondern wolle auch zur Entwicklung seines Landes mitwirken.
In Masisi siedeln schon seit Jahrzehnten zahlreiche Tutsis, die irgendwann mal aus Ruanda geflüchtet sind. Allerdings gehört dieser Major offenbar nicht dieser Minderheit an. Unsere Kongolesen vermuten eher, aufgrund seines Namens, daß er aus einer Hutufamilie stammt. Die Zusammenarbeit zwischen Hutus und Tutsis im Kongo sei gar nicht ungewöhnlich, auch wenn das nicht in die Politik von Präsident Kagame in Ruanda paßt.
Im Gespräch mit ihm stellen wir einige Überlegungen an, wie er zu einer Ziegelpresse kommen könnte. Offenbar sind die Bauern in Masisis reicher als hier in Burhinyi und deswegen läßt sich eine Bezahlung in bar realisieren. Man müsse dazu nur einfach ein paar Kühe verkaufen. Und die Ausbildung der Arbeiter müsse hier in Burhinyi geschehen und diese wolle man mit einigen Säcken Sojabohnen bezahlen, die hier einen großen Wert hätten. Und wenn der Major von der hiesigen Ziegelpresse spricht, dann leuchten seine Augen. Sowas habe er noch nicht gesehen. Aber alles, was aus Deutschland komme sei gut. Sein Vater habe 1975 ein Auto der Firma aus Stuttgart mit dem „guten Stern auf allen Straßen“ (meine Benennung, um hier keine Schleichwerbung zu machen) gekauft, das immer noch fahre. Da komme keine andere Marke mit, schon mal gar nicht die asiatischen.
Doch dann nehme auch ich die Gelegenheit beim Schopfe. Wenn er denn der oberste Kommandeur der Soldaten da drüben auf dem Hügel sei, ob er denn nicht darauf einwirken könne, daß diese etwas behutsamer mit unseren nahen Aufforstungsflächen umgingen und diese nicht bald für ihren Brennholzbedarf wieder verfeuerten? Der Mann gibt sich aufgeschlossen. Nein, das wolle er auf keinen Fall. Aber in der Tat, der Brennholzbedarf sei sehr groß. Im Moment habe er dafür etwas Geld und kaufe Brennholz im benachbarten Luhwinja. Wir stellen fest, daß vielleicht aus dem dichten Pinuswald der eine oder andere Baum durchaus geschlagen werden könne, wir erwarteten aber, daß dann wieder neu gepflanzt werde – und darauf ging der Mann sofort ein. Jawohl, er wolle dafür sorgen, daß seine Soldaten sich regelmäßig am Pflanzen neuer Bäume beteiligten. Sie hätten sowieso die Pflicht, sich an sozialen Aktivitäten zu beteiligen. Schon wurde vereinbart, daß der Baumschulgärtner unserer Partnerorganisation die Soldaten für das Bäumepflanzen anleiten solle. Die Bäumchen wollten sie sogar in der Baumschule kaufen. Ja, und dann fragten wir noch, ob denn die Soldaten den holzsparenden Lorena-Ofen kennten? Einen holzsparenden Ofen? Nein, nie gehört. Ja, das wäre doch was! Jetzt war der Mann nochmal aus dem Häuschen und total begeistert und schüttelte mir nochmal kräftig die Hand. Die Frauen, die bei Antonios den Bau dieser Öfen gelernt hätten, sollten so schnell wie möglich einigen seiner Soldaten beibringen, wie man solche Öfen anfertige. Sie wollten mit Sojabohnen bezahlen...
Wir saßen im „Wohnzimmer“ der Priestergemeinschaft von Burhinyi und auch die drei Priester hörten sich im Hintergrund unsere Verhandlungen an. Die Essenszeit war da und ich fragte flüsternd Pater Jean-Claude: Wie werden wir jetzt nur diese Soldaten wieder los? Aber Shekur hatte ganz anderes im Sinn. Jetzt müssten wir eigentlich erst mal zusammen Primus-Bier trinken, nach so vielen positiven Vereinbarungen. Also holte Pater François einige Flaschen und wir prosteten uns zu und besiegelten so unsere Absprachen.
Ob der Major seine Versprechungen einhält? Das fragten wir uns, als die Soldaten fort waren, beim Essen. Der Kommandeur hatte gesagt, die Soldaten seien wie seine Kinder und müssten auf seine Befehle gehorchen und wenn sie sich vergriffen, würde er sie hart bestrafen. Aber er selbst habe auch Vorgesetzte und könne jederzeit versetzt werden... Doch vorerst hat er Interesse an der Ziegelpresse und der Ausbildung in der Bedienung. Vielleicht gelingt darüber auch, seine Mannschaft von einigen Minimalstandards des Umweltschutzes zu überzeugen, damit sie nicht mehr – wie in den letzten 4 Wochen seit ihrer Ankunft in Burhinyi – jeden nächstbesten Baum abschlagen, um ihre Hütten zu bauen und für das Kochen zu verfeuern.
Henriette kam übrigens hochzufrieden von ihrer letzten Evaluation zurück. Die Fläche sei wesentlich größer als angegeben – und die meisten dort gepflanzten Bäume seien gut angegangen, obwohl der Boden schlecht und steinig sei. Aber offenbar habe man die richtigen Bäumchen ausgewählt, darunter auch einige einheimische. Ein wunderlicher Tag geht zu Ende und wir fallen todmüde ins Bett.
Wir frühstücken mit den beiden Franziskanerpriestern Francois und Jean-Claude. Francois muss anschließend gut 3 Stunden zu Fuß laufen, um in der Kapelle einer Außenstation die Heilige Messe zu feiern. Jean-Claude hat‘s heute besser. Er leitet die Messe hier im Pfarrzentrum. Ab 10 Uhr beginnt sich die Gemeinde zu versammeln. Der Chor singt zur Einstimmung einige Lieder, zu denen im Takt geklatscht wird. Immer mehr Leute kommen aus allen Richtungen herbei und rasch ist die große Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. Während die Messe ihren Gang nimmt, beginnt draußen der große Regen. Die Wassermassen klatschen auf das Wellblechdach, sodaß Priester und Chor kaum noch zu hören sind. Welch ein Glück, daß wir jetzt nicht irgendwo draußen unterwegs sind, flüstert mir Henriette zu. Während des Gesangs tanzen die Schulkinder um den Altar. Nach der Messe hat der Regen nachgelassen und die Gläubigen müssen nicht total durchnässt nach Hause gehen – aber auch wenn, tragisch ist das nicht. Hier ist\\\\\\\\'s so warm, daß nach wenigen Stunden alles wieder getrocknet ist und man friert auch nicht so leicht.
Am Nachmittag sind wir beim Mwami, dem König, eingeladen. Die Fahrt dahin gestaltet sich für Chris gar nicht so einfach. Durch den starken Regen ist die Straße an vielen Stellen - hm - kann ich sagen: spiegelglatt? Wir sind in den Tropen, nicht im deutschen Winter. Aber die Erde ist butterweich und Chris hat Mühe die Kontrolle zu behalten. Dort, wo die Straße abschüssig ist, rutscht der Wagen einfach drauflos. Später sehen wir riesige Matschklumpen unter den Kotflügeln.
Der Mwami steht schon im Hof und begrüßt uns. Wir werden in seinen Audienzsaal geleitet, wo wir nochmal auf ihn warten müssen. Um das Warten abzukürzen wird unser Tisch mit Alkoholischem vollgestellt: Sekt, Wein, Likör, Whisky. Sollen wir uns betrinken? Gut, wir genehmigen uns einen Aperitif, einen Likör. Der Mwami hat offenbar einige Mühe seine Würdenträger zusammenzutrommeln. Wir sind in Afrika. Einige warten schon seit 9 Uhr morgens, andere lassen auf sich warten.
Derweil bekommen wir von "Moguli", der Königin, kurz nach unserem Mittagessen nochmal ein köstliches Essen serviert. Um 4 Uhr schließlich beginnt die Volksversammlung in einem dafür extra errichteten Gebäude. Wir sind etwas irritiert, daß seine Majestät der König gar nicht so richtig folgt und mehrmals rausgeht zum Telefonieren. Später erfahren wir, daß auf dem Flughafen von Bukavu eine Maschine mit mehreren hohen Persoenlichkeiten abgestürzt ist, mit mehreren Toten. Unter den Verletzten sei der Provinzgouverneur, mit dem wir am Mittwoch noch getanzt hatten. Das ist für einen politisch im nationalen Parlament aktiven Mwami sicherlich eine Nachricht, die er mit seinesgleichen beraten muß und ihn Volk und Gäste vernachlässigen lässt.
Aber wir schaffen die Versammlung auch ohne Mwami. Shekur stellt uns vor, ich erläutere die Tagesordnung, nämlich Probleme der Aufforstung bzw. des Forstmanagements und die Gründung der Genossenschaft. Henriette erklärt noch einmal ausführlich, wie schon in Mushenyi, wie ein Wald richtig bewirtschaftet werden muß, damit er als solcher erhalten bleibt. Ich bemühe mich, den Leuten irgendwie das Wesen einer Genossenschaft klarzumachen, die jetzt mit der Ziegelei und dann auch als landwirtschaftliche Genossenschaft gegründet werden soll. Bei den Fragen wird auf die schlechten Straßenverhältnisse in Burhinyi Bezug genommen. Ob wir denn dafür auch was tun wollten? Ich stelle klar, daß dies in die Zuständigkeit des Mwamis fällt, der dafür schon viel getan habe und der jetzt wieder da sitzt und sich das anhört. Und ich erinnere mich, letztes Jahr in Äthiopien, im unwegsamen Gelände, ganz viele Esel als Transporttiere gesehen zu haben. Ob das denn nicht auch in Burhinyi was wäre? Wieso habe man noch keine Esel? Dann kam raus, ja im Nordkivu gebe es Esel. Ja, so eine Frage? Könne ich ihnen denn in einem Projekt Esel bringen? Ach, antworte ich, ich selbst sei zwar ein Esel, aber mehr könne ich da nicht tun. Alle lachen. Pater Jean-Claude erläutert, ich hätte ja nur berichtet, was anderswo möglich sei. Dadurch entstehe für mich nicht automatisch die Verpflichtung, für Esel in Burhinyi zu sorgen...
Zwischendurch hat dann der Mwami mal etwas Ruhe und hält eine vorbereitete Rede, in der er die Leute noch zum Neuen Jahr begrüßt und uns dann auch nochmal seine Genugtuung über die Ziegelei und die Aufforstung mitteilt.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit endet die Volksversammlung. Wir sind nochmal kurz bei Moguli eingeladen, um den Garten zu besichtigen (und den kleinen Kronprinzen Samuel und seine beiden Zwillingsbrüder). Dann fahren wir zurück zum Pfarrzentrum. Draußen ist schon alles stockdunkel. Elektrisches Licht existiert in Burhinyi höchstens hier und da erzeugt durch einen Generator. Dieser brummt schon im Pfarrzentrum. Als wir dort ankommen, ist im Schein der Lampen eine Gruppe schwerbewaffneter Soldaten zu erkennen. Was machen die denn hier, fragen wir uns sofort? Später stellt sich heraus, sie sind mit ihrem Kommandanten dort und haben wohl ein Bier getrunken. Die Maschinengewehre wohl auch? Wir sind froh, als sie alle wieder auf den Auflieger des Jeeps springen und losbrausen. Aber Pater Bavon ist zufrieden. Er versteht sich inzwischen mit dem Kommandanten offenbar ganz gut und vertraut darauf, daß dieser seine Leute im Griff hat und meint, wir brauchten uns kein Sorge zu machen, die Aufforstung werde nicht verfeuert und die Soldaten wollten tatsächlich bei der Neuaufforstung mithelfen.
Als wir diese Geschichte von gestern abend heute Nachmittag auf der Volksversammlung erzählten, haben die Leute nur darüber gelacht.
Nun ja, warten wir mal ab, sage ich zu Pater Bavon.
Lese weiter in Kongobriefe 2012, Teil 3
Geändert am 18.07.2013 09:55 von Heinz Rothenpieler